Christian
Reisebericht 2003
AKTUELL ! Woche 7-10
 
Weltreise 95
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Christians Tagebuch 
von der Weltreise
1995 mit Timo

Teil 1: 10. Januar bis 2. Februar 1995

 

Inhalt:
Vorwort

Hamburg - Dubai - Katmandu (Mittwoch 11.1.95)

Nepal: 
Katmandu I (Donnerstag, 12.1.95, 22.30)
Katmandu II (Freitag 13.1.95, 22.35 Uhr)
Katmandu III (Samstag, 14.1.95, 19.50 Uhr)
Katmandu IV (Sonntag, 15. 1. 95, 18.00 Uhr)
Katmandu V (Montag, 16.1.95, ca. 14.00 Uhr, Durbar Square)
Katmandu VI (Dienstag, 17.1.95, 21.00 Uhr)

Pokara I (Donnerstag, 19.1.95, 1.00 Uhr, Dach des "Hotels" Super Lodge Pokara)
Pokara II (Freitag, 20.1.95, 11.00 Uhr, Dach des Hotels in Pokara)

Himalaja I (Samstag, 23.1.95, 20.00 Uhr, 2 Stunden von der nächsten Straße)
Himalaja II (Mittwoch, 25.1.95, 16.00 Uhr, 2800 m über n.N.)
Himalaja III (Donnerstag, 26.1.95, 20.00 Uhr, Tato Pani)

Pokara III (Donnerstag, 2.2.95, 10.50 Uhr, mitten auf dem See in Pokara, Sonne)

Weiter zu Teil 2 (8.Februar bis 12. Mai 1995)

 

Vorwort 2003

Der Tagebuchbericht wurde von mir Handschriftlich verfasst und dann Abschnittsweise nach Deutschland geschickt, wo er dann abgetippt wurde. Insbesondere bei den Ortsnamen gibt es daher einige Ungenauigkeiten, da ich diese nicht noch einmal Nachgeschlagen habe.
Zum Verständnis ist auch noch voranzustellen, dass ich drei Monate vor dem Abflug Katja kennen und lieben gelernt hatte. Es gibt noch einen privaten Teil der Aufzeichnungen, der nur an sie gegangen ist, aber dennoch sind auch in diesem Bericht einige Eindrücke emotional stark von der Distanz zu ihr geprägt und somit zu entschuldigen.
Das Tagebuch hat hierdurch aber mit dazu beigetragen, dass wir auch nach dieser Reise zusammen geblieben sind und die folgenden sechs Jahre gemeinsam verbrachten.

Wer nicht alles lesen will, kann sich einen Teil der Aufzeichnungen auch anhören, da ich in Australien einen erheblichen Teil vorgelesen und auf Kassette aufgenommen habe, um diese nach Deutschland zu schicken.

Wer sich durch all dies noch nicht hat abschrecken lassen, wird bestimmt Spaß mit diesem Bericht haben, von einer Reise als E-Mail noch etwas für Spezialisten war, das Internet in den Kinderschuhen steckte, wir uns freuten, dass wir überhaupt nach Hause telefonieren konnten (60 $ für eine halbe Stunde) und wir über die zahlreichen Handys in  Thailand staunten.

 

Vorwort im Originaltagebuch

Dies ist nun also mein Tagebuch von der Weltreise 1995. Für mich hat es zwei ganz wichtige Funktionen: zum einen ist es meine wichtigste Verbindung mit Katja während dieser Zeit, so dass wir so gut wie möglich "ganz eng zusammen in jedem Augenblick" sind. Zum anderen hilft es mir, mit den gesamten Eindrücken fertig zu werden und mich später daran erinnern zu können.

Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, die Ereignisse der Reise so wiederzugeben, dass auch andere etwas damit anfangen können. Ich habe jedenfalls nie zuvor etwas ähnliches, geschweige denn so viel geschrieben. Insofern kann ich nur hoffen, dass die Aufzeichnungen, welche meistens sehr spät abends, teilweise sogar nachts entstanden sind, zumindest einen Eindruck der Reise vermitteln können.

Viel Spaß beim Lesen!

24 Stunden nach Abfahrt vom Bahnhof Dammtor 
am Dienstag, 10.1.1995 um 15.55 Uhr, Mittwoch 11.1.95

Wir sind tatsächlich hier in Katmandu angekommen, entgegen allen Vermutungen, was die Zuverlässigkeit von Baka angeht. Hier ist es mittlerweile Abend geworden (21.00 Uhr Ortszeit), und es liegen 24 Stunden hinter uns, die so voller Eindrücke sind, dass man damit getrost einen ganzen Urlaub füllen könnte.

Dabei fing alles so ruhig an, mal abgesehen von der sehr schweren Verabschiedung von Katja (ich glaube, mir ist noch nie ein Abschied so schwer gefallen wie dieser, und ich war selten so traurig). Ich war, nachdem ich mich wieder etwas gefangen hatte, froh, mich ein wenig zerstreuen zu können, und fing an, mich zum ersten Mal intensiver mit einem Nepal-Reiseführer zu beschäftigen. Nur unterbrochen von einem sehr unangenehmen Mann, der zunächst eine leicht nervöse, ältere Frau vergraulte, die sich in unser Abteil setzen wollte, da er seine Ruhe haben wollte, dann später aber anfing, uns mit seinem Spezialgebiet Schwermaschinenbau und Stahlträger zu nerven.

In Frankfurt waren wir natürlich viel zu früh. Was uns aber viel mehr störte, war, dass nach 21.00 Uhr kein einziger Laden mehr geöffnet hatte und der ganze Flughafen fast ausgestorben war. Nach Ankunft der Maschine wurde es, zumindest durch die Transitreisenden, etwas voller im Aufenthaltsraum, in welchem wir zunächst als einzige Passagiere warteten.

Dort hatten wir somit auch unsere erste Begegnung mit "echten" Nepalesen, wobei eine gleich (im Flieger) sehr intensiv und freundschaftlich wurde. Dieser Nepalese erzählte uns gleich seine halbe Lebensgeschichte und zeigte uns Fotos von seiner deutschen Frau. Timo hat sich ziemlich lange mit ihm unterhalten, und er bot an, uns durch Katmandu zu führen/lotsen. Leider haben wir ihn schon am Flughafen verloren, aber vielleicht treffen wir ihn doch noch einmal.

Der Flieger war, wie gesagt, halb leer, und der Service war - genau wie das Flugzeug selber - sehr gut. Im großen und ganzen war bis jetzt sowieso noch fast nichts so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die einzige Ausnahme bildete mein Rucksack, als ich ihn vom Fließband nahm, denn der war wirklich total verdreckt. Doch der Reihe nach: Um 7.50 Uhr Ortszeit landete die Maschine noch einmal in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) zwischen, wodurch wir zum einen eine phantastische und wirklich eindrucksvolle Sicht auf die Wüstenstadt bekamen und dann den weltbesten Duty-Free-Shop kennen lernten. Shop ist aber der völlig falsche Ausdruck für dieses Einkaufszentrum. Und wo bekommt man schon 3 Filme für 6 DM und 4 Batterien für 1,50 DM? Zudem war der gesamte Flughafen extrem luxuriös und groß angelegt.

Nach der Lektüre von zwei englischsprachigen Zeitungen aus den Emiraten begann der Landeanflug auf Katmandu mit dem Himalaja im Hintergrund. Hierbei wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, wie irre diese Art des Reisens ist: Gestern Abend noch in Frankfurt, eben in Dubai und jetzt in Katmandu und dabei um ca. hundert Jahre zurückgeworfen in sehr ärmliche Verhältnisse. Man braucht, glaube ich, kaum zu erwähnen, dass das Panorama, welches der Landeanflug bot, wunderschön war, aber was danach auf uns einstürmte, ist noch wesentlich eindrucksvoller und vor allem fast unbeschreiblich gewesen.

Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, betraten wir den Vorraum des Flughafens, und da sahen wir sie: eine riesige Traube von Menschen - ca. 200 - stand vor dem Flughafengebäude, wartete auf die Passagiere und wollte ihnen, also auch uns, eine Taxifahrt und am besten noch ein Zimmer aufschwatzen. Wir hatten uns schon zuvor für ein preiswertes Hotel entschieden und wandten uns noch in der Vorhalle an einen Nepalesen an der Touristeninformation. Dieser lief sofort nach draußen und rief aus der riesigen Traube einen Vertreter dieses Hotels herbei. Als wir kaum aus der Tür traten, schossen noch vier andere herbei, die uns zunächst vor der Menge abschirmten, uns dann aber um so mehr bedrängten, ihnen eine "one Mark" zu geben, noch während uns der Hotelvertreter in ein Auto verfrachtete und schon losfuhr.

Irgendwann im Gedränge verlor ich dann völlig die Übersicht und glaubte, der Taxifahrer wollte "one Mark" als Voraustrinkgeld, woraufhin ich ihm eine gab und man die anderen noch massiver am Hals hatte. Ich war heilfroh, als wir endlich losfuhren. Doch was dann kam, war kaum viel erholsamer. Im sowieso schon verwirrenden Linksverkehr, welcher hier absolut keinen Regeln zu unterliegen scheint, fuhr das uralte Auto immer haarscharf an Menschen, Rikschas, Dreirädern, Kühen, anderen Autos, Fahrrädern und noch mal Menschen vorbei. Meist sehr rasant und wild hupend.

Vorbei an Tempeln, dem Königspalast und vor allem vielen kleinen Läden, die mickriger waren als bei uns jede Garage, und aus denen einen die Armut völlig ansprang. Insofern war ich echt beruhigt und sehr positiv überrascht, als unser Hotel doch recht ordentlich, wenn auch sehr einfach aussah und auch eingerichtet war. Für 11 $ pro Doppelzimmer mit Bad recht gut und vor allem, was mich am meisten wunderte und freute, fast völlig ohne Insekten oder sonstige Viecher. Einziger Wermutstropfen: kein warmes Wasser.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit brachen wir noch auf, um uns umzusehen und etwas zu essen. Doch was dann kam, übertraf alles und hätte uns fast um den Verstand gebracht. Die kleinen Straßen waren knallvoll mit Menschen, wovon die meisten irgendetwas verkaufen oder ihren Dienst anbieten wollten. Timo hat zweimal den Fehler gemacht, auf etwas auch nur ansatzweise einzugehen und hatte jeweils einen Verfolger für die nächsten 10 Minuten am Hals.

Dann wurde es richtig dunkel, und allerhöchstens ein Märchen aus 1001 Nacht kann die Atmosphäre einigermaßen beschreiben. Die Straßen wurden nur noch durch einige Petroleumlampen, Kerzen und sehr wenige Glühbirnen erhellt, die direkt in den Obstkörben und kleinen Tischen auf der Straße standen oder in den Läden hingen, sofern man kleine Zimmer, deren Eingangshöhe fast an Timos Bauchnabel lag und für welche auch ich mich sehr hätte bücken müssen, so nennen kann. Überall hingen sehr windige Gestalten herum, die nur darauf aus waren, Touristen irgendwie Geld zu entlocken. Und wir hatten uns total verlaufen. So suchten wir den Weg zurück, vorbei an dunklen Läden, dunklen Gestalten mit dunklen Augen, geheimnisvollen Tempeln und heiligen Kühen. Jedes Mal, wenn wir auch nur stehen blieben, rückte uns ein Rikscha-Fahrer oder ein "Stadtführer" auf die Pelle.

Endlich wieder am Hotel angekommen, gingen wir schnurstracks ins gegenüberliegende Restaurant, in welchem wir endlich etwas zu Essen und vor allem unsere Ruhe bekamen. Das Essen verdient noch eine besondere Beachtung, denn ich habe es bis jetzt noch nicht erlebt, dass man mit zwei Personen jeweils zwei vorzügliche Gerichte essen, dazu noch jeweils einen Tee und eine 7up trinken kann und für alles nur 8 DM bezahlen muss.

Donnerstag, 12.1.95, 22.30

Wir haben oben gerade festgestellt, dass wir bis jetzt immer schon eine 3/4 Stunde zu weit waren, aber das stört hier sowieso keinen. Außerdem haben wir zum ersten Mal telefoniert, allerdings nur eine Minute lang, da diese schon 7 DM kostet, das reichte aber, um die Telefonnummer unseres Zimmers durchzugeben. Dass man direkt von unserem Zimmer aus mit Deutschland telefonieren kann, erscheint hier wie ein Wunder. Denn es tut schon unheimlich gut, wenn man direkt aus dem Mittelalter zu Hause anrufen kann.

Unser Zimmer ist hier im Moment auch der einzige Schutz gegen die Eindrücke von dem Leben draußen. Immerhin haben wir mittlerweile sogar warmes Wasser, was heute morgen aber auch sehr nötig war, da es in der Nacht im Gegensatz zum wirklich angenehmen Tagesklima lausekalt wurde. Gottseidank hatten wir ja noch den Schlafsack als zusätzlichen Schutz.

Der Morgen fing aber recht gut an. Nachdem wir mit Blick auf die Küche auf dem Dach das Frühstück des Hotels verworfen hatten, kaufte Timo ein paar abgepackte Brötchen vom kleinen Laden/Stand gegenüber. Diese - wenn auch recht pappige Stärkung - hatten wir bitter nötig, denn nun begann unsere Suche nach der deutschen Botschaft. Nachdem wir im Buchladen drei Straßen weiter noch eine vermeintlich bessere Straßenkarte gekauft hatten als die, welche wir schon besaßen, gab es drei Möglichkeiten, wo sie sein konnte. Also marschierten wir los, immer an der Kauti Path entlang, eine der Hauptstraßen in Katmandu. Dies stellte sich bald als sehr lästig bis fast unerträglich heraus, da die Luft schon sichtbar durch die Autos und Tucktucks (Dreiräder) so verpestet war, dass das Atmen extrem schwer fiel und rasch Kopfschmerzen hervorrief. Dazu gesellte sich noch der Geruch von Kot und Urin, da Teile der Straße als öffentliche Toilette genutzt wurden. Um so größer wurde unsere "Freude", als sich die erste Botschaft als Zahnklinik, die zweite als "Britisches Concil" und die dritte, nachdem wir die halbe Stadt durchquert und durchsucht hatten, als Slums an den Ufern des Bagmati Rivers herausstellte. Diese Entdeckung versetzte uns einen ziemlichen Schock, da die Armut in der Stadt selber zwar schon erschreckend ist, der Anblick der Slums aber pures Entsetzen hervorrief. In diesem Augenblick wurde uns auch schlagartig bewusst, dass wir wahrscheinlich wesentlich mehr Geld bei uns trugen, als diese Menschen und auch die Durchschnittsnepalesen je im Leben verdienen werden.

Ziemlich fertig mit den Nerven, fragten wir einen Taxifahrer nach der deutschen Botschaft. Leider konnte uns dieser auch in keiner Weise weiterhelfen, und auch seine zahlreichen Kollegen, die einen kleinen Stau verursachten, da sie sahen, dass es anscheinend einen Kunden zu ergattern gab, wussten nicht weiter. Immerhin fuhr uns einer dieser Fahrer wieder zum britischen Concil, was ihm sicherlich nicht schwer gefallen sein dürfte, da er glatt das Fünffache des normalerweise üblichen Preises verlangte, wie uns später klar wurde. Endlich im Concil, erfuhren wir, dass die Botschaft weiter außerhalb lag und nach einem Telefonat mit ihr auch, dass sie mittlerweile geschlossen hatte. Also morgen auf ein Neues! Nun wirklich am Ende kauften wir noch ein paar westlich aussehende Kuchen, die sich leider nur zum Teil als genießbar herausstellten, da ansonsten mit starken Gewürzen gemischt, und zogen uns in unser Zimmer zurück.

Nach einer längeren Pause machten wir uns wieder auf den Weg, um Fotos abzuholen, die ich morgens zum Entwickeln gebracht hatte, und etwas zu Essen. Diesmal mieden wir die großen Straßen und schlugen uns durch kleine Gassen, welche an eine Kulisse für einen mittelalterlichen Film erinnerten. Vorbei an kleinsten Läden mit toten oder lebendigen Hühnern auf den Tischen direkt auf der Straße, Mini-Werkstätten, in denen die Menschen wie auch viele der Händler einfach auf dem Boden arbeiten. Vorbei an unzähligen kleinen und größeren Heiligtümern, die man aber zwischen den ganzen beeindruckenden Menschen und Geschäften kaum wahrnimmt. Ein Markt und immer wieder kleine Gänge, fast Nischen, die nirgendwo zu enden scheinen bzw. völlig im Dunkeln verschwinden.

Dann erscheint auf einmal mit dem tosenden Lärm der unzähligen Autos die New Road, und zum allerersten Mal erinnert mich etwas an zu Hause. Ich glaube, ich habe mich noch nie so wohl gefühlt, wenn ich ein Elektronikgeschäft gesehen habe, ein paar Fernseher und CD-Player, aber ich fühlte mich jedenfalls einen Moment lang heimisch. Die ganze Straße erschien schon geradezu revolutionär westlich und modern. Auch wenn sie wahrscheinlich bei uns zu Hause für jeden noch so kleinen Ort eine Schande wäre. Mit den Heimatgefühlen war es aber schon sehr bald vorbei, spätestens als Timo mich zum laut Reiseführer besten indischen Restaurant in Katmandu führte.

Dieses kleine Restaurant lag sehr versteckt in einer winzigen Seitengasse und bestand aus zwei kleinen Zimmern oder besser Löchern, wovon das eine durch einen Vorhang vom Gang abgeschlossen war. Das andere schien die Küche zu sein, denn aus den merkwürdigsten Pfannen und ältesten Töpfen stiegen zahlreiche Dämpfe auf, hinter welchen ein kleiner Mann beschäftigt war. Das andere war der Essensraum, in dem sich zwei kleine Tische und ein paar winzige Bänke befanden. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass es sich um das beschriebene Restaurant handelte, wollte Timo es unbedingt ausprobieren. Ich wäre schon viel früher geflüchtet, aber als die Karte kam (ein völlig verdreckter DIN-A4-Zettel in einer "Klar"sichthülle) und ich dann auch noch das Waschbecken sah, war es mit meinem Appetit vorerst vorbei. Hinter dem Essensraum befand sich nämlich noch ein weiteres Loch, diesmal nur ca.. 1 Meter hoch, hinter welchem sich eine Wassertonne mit Hahn und davor eine Waschschüssel mit einer dunklen Brühe verbarg. Von Zeit zu Zeit erschien ein ca. 5jähriger Junge und begann mit dem wohl versifftesten Schwamm, den ich je gesehen habe, etwas dreckiges Geschirr abzuwaschen, welches davor auf dem Boden lag. Das Beruhigendste war noch, dass er jedes Mal mit der Hand und dem "sauberen" Wasser aus der Tonne nachwusch.

Nichtsdestotrotz, Timo bestellte (aber er hatte die "Waschstelle" auch nicht gesehen). Und nachdem er ein wenig von den Kidneybohnen genascht und warmes Fladenbrot gegessen hatte, ohne - o Wunder - tot umzufallen, probierte auch ich, und siehe da! es war scharf, aber es schmeckte. Wir bestellten noch nach und einen vorzüglichen Tee dazu, alles zusammen für 2 DM. Allerdings beginnt gerade während ich dies schreibe, mein Darm ein wenig zu rumoren, mal abwarten, was daraus wird.

Auf dem Rückweg kauften wir uns noch jeder eine Kassette, denn die neuesten von Rod Steward und Roxette gibt es nicht alle Tage für 4 bzw. 3 DM. Zwei Dinge muss ich noch nachtragen. Zum einen war es ein sehr merkwürdiges Gefühl, die Fotos von zu Hause und Dubai anzusehen, sich dann umzudrehen und das Treiben auf den Straßen zu sehen. Ganz zu schweigen von den Gefühlen, wenn man sich in dem Trubel die Bilder von Katja anschaut und auf einmal ziemlich allein ist.

Das zweite waren die Eindrücke, die nebenbei auf der Hauptstraße auf uns einströmten und wahrscheinlich sehr lange in Erinnerung bleiben werden. Zum einen die kleinen Kinder, die überall entweder herumlungerten oder in eine Decke gehüllt schliefen und vom Straßenstaub langsam grau wurden. Zum anderen zwei nun schon total grau bestäubte Krüppel auf Brettern mit Rollen, deren Beine völlig verkümmert waren, und die bettelnd durch die Straßen rollten. Als Gipfel von allem ein Baby, höchstens 1 Jahr alt, das ziemlich einsam mitten auf dem Bürgersteig lag und schrie. Da musste man sich schon häufiger wieder bewusst machen, dass es sich um Menschen handelte und nicht um die Hunde, die auch zu Hauf auf den Straßen herumlungern und ebenso wenig Beachtung finden.

Freitag 13.1.95, 22.35 Uhr

Timo hat mir gerade ganz stolz erzählt, dass er morgen noch einmal dieselbe Unterhose anzieht (die vom Abfahrtstag), vorausgesetzt, sie hält einer Geruchsprobe stand. (Wir sind noch am Wetten, wann er das erste Mal waschen muss.) Heute morgen, als wir, o Wunder, tatsächlich zur deutschen Botschaft gefahren sind, machten wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit den echten Taxipreisen. Zwar haben wir für die Fahrt zur Botschaft immerhin noch 1 DM gezahlt, was aber auch schon 2,50 DM günstiger war als die kürzere Fahrt gestern. Zurück fuhren wir dann mit Taxameter und siehe da: für eine noch mal wesentlich längere Strecke zahlten wir nur noch 80 Pfennig.

In der Botschaft selber ging alles relativ problemlos, auch wenn wir den für Deutschland halt üblichen Papierberg zu bewältigen hatten, als wir einige Dinge dort deponierten. Im übrigen tat es gut, auch von anderen mal wieder Deutsch zu hören, aber Deutsch hörten wir heute noch häufiger. Zum einen von einem anderen Reisenden, der gerade aus Indien kam, zum anderen von einem Nepalesen, der hier im Goethe-Institut einen Deutschkurs besuchte und von uns seine Grammatikübung korrigiert haben wollte. Dieser Nepalese war dann auch seit langem der erste, der kein Geld von uns haben wollte, was uns sehr überraschte und auch entsetzte, da wir ihn beinahe genauso abgebügelt hätten wie alle anderen. Es ist aber auch sehr nervig, wenn man mindestens jede Minute einmal angesprochen wird, ob man etwas kaufen will. Mittlerweile haben wir festgestellt, dass es am besten ist, alles zu ignorieren, denn häufig ist schon ein einfaches "no" zuviel und scheint eine Aufmunterung zu sein, weiter zu handeln. So habe ich heute mindestens zwanzigmal folgenden Monolog gehört: "Namaste (guten Tag), how do you feel, do you want Haschisch, Dope, Marihuana" oder "hello good friend, ..." oder einfach nur von hinten angeschlichen: "Haschisch, Dope, what do you smoke?". Im übrigen scheint hier alles "very cheap" zu sein und alle haben einen "very good price". Komischerweise verringert sich dieser meist mindestens um die Hälfte, wenn man weitergeht.

Insgesamt hatte ich heute die Nase mehr als gestrichen voll von den ganzen Händlern, bettelnden Kindern, selbsternannten Reiseführern, Rikscha- und Tucktuck-Fahrern, die einen ununterbrochen anquatschen. Zu den Haschhändlern erzählte uns der deutsche Rucksackreisende noch, dass diese meist doppelt kassieren, indem sie ihre Kunden an die Polizei verkaufen. Im übrigen erzählte uns dieser Tourist auch, dass er in einem vergleichbaren Hotel für etwa den halben Preis wohnt, woraufhin wir beschlossen, morgen noch einmal ein wenig zu handeln. Man muss hier doch einiges an Lehrgeld zahlen. Das heftigste war allerdings, dass er von Indien berichtete, dass dort die Zustände noch wesentlich schlimmer seien und es den Menschen hier dagegen noch richtig gut ginge. Selbst die Slums seien dort noch dreckiger und ärmer als hier, was wir uns nun wirklich nicht mehr vorstellen konnten oder wollten.

Hauptsächlich haben wir heute eigentlich ja den Durbar Square besichtigt mit seinen Dutzenden von Tempeln und Palästen, und obwohl diese wirklich einmalig und zum Teil sehr schön und kunstvoll sind, das Beeindruckendste waren auch hier die Menschen, die überall zwischen und teilweise in den Tempeln lebten. Den Durbar Square selbst zu beschreiben, ist eigentlich unmöglich, da sich auf diesem riesigen Platz wirklich unzählige der unterschiedlichsten Heiligtümer befanden, so dass man kaum noch wusste, wo man zuerst hinschauen sollte.

Heute Abend hatten wir dann noch eins der bisher positivsten Erlebnisse, auch wenn es wahrscheinlich sehr untypisch für diese Stadt war. Unser heutiges Restaurant sah zwar von außen recht unscheinbar aus und lag auch wieder etwas abgelegen, dafür schien es aber geradezu der Geheimtipp der reichen Nepalesen zu sein. Nach und nach wurde es immer voller, bis schließlich kein Platz mehr frei war, und wir waren die einzigen Ausländer. Dass es dermaßen voll wurde, lag zum einen sicherlich am exzellenten italienischen und mexikanischen Essen, zum anderen aber auch daran, dass noch eine kleine Band nepalesische Lieder spielte und zwischendurch vier junge Nepalesen/innen Volkstänze und fast westliche Discotänze vorführten. Das war wirklich absolut faszinierend, stand aber auch in einem totalen Kontrast zu den keine zehn Meter entfernt auf der Straße lebenden Menschen. Alles zusammen war es zwar für hiesige Verhältnisse recht teuer. Aber für eine Pizza, zwei mexikanische Gerichte, eine Cola, eine 7up und 4 Tees 10 DM zu bezahlen und dazu noch zum Teil sehr gute Vorführungen geboten zu kriegen, werden wir wahrscheinlich nicht allzu häufig erleben.

Wenn ich auch in den letzten Tagen nicht so häufig an Katja gedacht habe, wie ich es befürchtet hatte, da die ganzen Eindrücke dafür gar keinen Raum ließen, kommen die Gedanken jetzt doch wieder sehr verstärkt hoch, da ich gehofft hatte, dass Katja vielleicht anrufen würde. Ich hoffe nur, dass ihr die Trennung im Moment nicht allzu schwer fällt. Denn an ihrer Stelle möchte ich im Moment auf gar keinen Fall sein, da sie sicherlich nicht so stark abgelenkt wird, und ich es so schon schwer genug finde.

Samstag, 14.1.95, 19.50 Uhr

Wir sind jetzt gerade mal 4 Tage hier, und es kommt mir fast schon wie eine Ewigkeit vor, aber so langsam kommen wir den Umgangsformen auf die Schliche. Immerhin haben wir heute morgen, nachdem ich den Kampf mit dem Nassrasierer zum ersten Mal recht erfolgreich hinter mich gebracht hatte, fast schon skrupellos gehandelt. Zuerst hat Timo den Zimmerpreis von 11 $ auf etwas mehr als 6 $ gesenkt, allerdings war er schon vorher komischerweise von den 11 $, die im Buch standen und die wir bei der Ankunft etwas voreilig geboten hatten, auf etwa 7,50 $ gefallen, was wohl der Fairness des Vermieters zu verdanken ist. Dies hielt uns bzw. Timo aber nicht davon ab, diesmal voll in die Trickkiste zu greifen und mit sofortiger Abreise zu drohen, falls der Preis nicht noch weiter sinkt, wie gesagt mit gutem Erfolg. Danach ging es zum Fahrradverleih, wo wir den Preis für einen Tag von 3 DM auf 2,30 DM senkten und den Preis für einen Mundschutz von 4 DM auf 3,50 DM, wobei wir dabei sicher noch bessere Geschäfte hätten machen können. Na ja, morgen geht es weiter, da werden wir dann gleich mit 1/3 des Preises anfangen.

Danach ging es mit dem Fahrrad quer durch Katmandu, durch die kleinen total überfüllten Gassen nach Kirti Pur, der einzigen Universität Nepals, und den Slums am Fluß vorbei. Eigentlich ein Wunder, dass ich bei den Verhältnissen den ganzen Tag keinen einzigen umgefahren habe, noch nicht einmal ein Huhn. Auch wenn der Mundschutz teilweise mehr als nötig war und man höllisch aufpassen musste, um nicht unter die Räder zu kommen, war es der bisher erholsamste Trip hier in Nepal. Zum einen hat uns nicht ein einziger Händler oder Rikscha-Fahrer angequatscht, zum anderen kamen wir in einen Ort, den wahrscheinlich nicht viel mehr als 2 Touristen am Tag besuchen und der daher noch ziemlich unberührt vom Trubel unten (Kirti Pur liegt ungefähr 300 m oberhalb von Katmandu) seinem alltäglichen Trott nachging. Zudem fanden wir in diesem fast unverfälschten Ort so etwas wie einen Freund.

Dieser Nepalese - er sprach uns gleich auf den ersten Metern an, die wir durchs Dorf gingen -, fiel zunächst einmal dadurch auf, dass er uns nichts anbieten wollte, wie übrigens auch kein anderer aus diesem Dorf. Er sprach sehr gut Deutsch, da er, wie sein Kollege gestern, am Goethe-Institut Deutsch lernt und dieses nun geradezu begeistert ausprobierte. Völlig platt waren wir allerdings, als er uns erzählte, dass er erst seit 7 Monaten dabei ist. Wie man in so kurzer Zeit einen so gewaltigen Wortschatz aufbauen kann und dazu noch in fast fehlerfreier Grammatik sprechen lernt, ist mir schier unbegreiflich. Zudem wusste er erstaunlich gut über Deutschland Bescheid, stellte sich als perfekter Fremdenführer heraus und erzählte uns einen Teil seiner Lebensgeschichte. So war seine Mutter bei der Geburt seiner Schwester gestorben, da es damals noch keinen Arzt gab. Sein Vater war mit einer anderen Frau abgehauen, und er mit seiner Schwester werden von der Tante unterstützt, welche aber etwas reicher sein muss, da sie ihm immerhin 12 Jahre Schule finanzieren konnte. Er hofft, später noch Landwirtschaft studieren zu können und dann eventuell nach Europa auszuwandern.

Im übrigen klärte er uns über einiges in seinem Land auf. So war z.B. der Stromausfall gestern wahrscheinlich geplant, da hier auf diese Weise Strom gespart wird. Jeden Montag zwischen 17.00 und 19.00 Uhr soll ganz Katmandu dunkel sein. Wasser gibt es in seinem Dorf nur morgens und abends, jeweils 2 Stunden, aus einigen zentralen Wasserhähnen. Zum Zeitpunkt, als wir durchs Dorf gingen, saßen die meisten Dorfbewohner vor den Fernsehern, da es den einzigen Film des Monats auf Nepali gab. Zu jeder kleinsten Statue der Stadt wusste er etwas zu erzählen und war dann genauso wissbegierig, wenn wir etwas von Deutschland berichteten. Auch später sagte er nicht einen Ton von Geld, auch wenn er es sich sicherlich schon etwas erhofft hatte. (Wir gaben ihm hinterher 10 DM, die er sicherlich gut gebrauchen konnte, da er arbeitslos ist.)

Insgesamt war es das bisher schönste Erlebnis in Nepal, sich hier in aller Ruhe mit ihm über alles mögliche unterhalten zu können. Zudem hatte man von Kirti Pur einen phantastischen Blick über ganz Katmandu und konnte das Leben der Menschen im Dorf beobachten. Wie sie sich auf der Straße in Schüsseln wuschen, sich kämmten, lausten, sich auf dem Markt trafen, beteten, in kleinen Zimmern in einer Geschwindigkeit webten, die für mich, der ja nun eine Zeitlang in einer Weberei gearbeitet hat, schier unglaublich war. Das Faszinierendste war allerdings, wie wir Zeuge eines sehr deftigen Scherzes wurden: mitten auf dem Marktplatz tauchte ein Händler mit seinem Fahrrad auf, auf welchem sich allerhand Gemüse und Obst türmte, woraufhin sich einige Dorfbewohner um ihn scharten, um einzukaufen. Etwas abseits vom Geschehen befand sich eine tote Ratte, auf die unser Freund schon zuvor versehentlich getreten war. Diese Ratte benutzte nun einer der barfuss herumlaufenden Dorfbewohner als Fußball und kickte sie langsam in Richtung Händler, woraufhin ein anderer sie am Schwanz hochhob, und ehe wir uns versahen, in einem der Körbe des Händlers verschwinden ließ und sich sehr rasch entfernte. Obwohl wir noch einige Zeit warteten, erlebten wir leider nicht mehr, wann und ob sie noch gefunden wurde. Nachzutragen bleibt vielleicht noch, dass diese Ratte nicht so alt aussah, als dass sie eines natürlichen Todes gestorben sein konnte, was das ganze nicht gerade appetitlicher macht. Aber heute waren wir halt wirklich im Mittelalter, und dort interessiert Hygiene kaum einen.

Sonntag, 15. 1. 95, 18.00 Uhr

Es ist immer wieder unglaublich. Wenn nach einem Tag hinter uns die Tür ins Schloss und wir nur noch aufs Bett fallen, sind wir jedes Mal total erschlagen von den Ereignissen des Tages und absolut fertig. Eigentlich würde man am liebsten bis zum nächsten Tag schlafen und zumindest ich habe mich schon manches Mal an den Strand von Hawaii gewünscht. Es ist einfach zuviel, was hier an einem Tag alles passiert. Man hat kaum die Möglichkeit, auch nur einen Bruchteil des Erlebten zu verarbeiten, insofern ist das Buch hier die beste Möglichkeit, damit fertig zu werden, da so später, wenn ich einmal wieder Ruhe haben sollte, vielleicht die Chance besteht, alles zu begreifen.

Das Erschreckendste ist eigentlich, dass es mir mittlerweile so vorkommt, als würde ich völlig gefühllos durch das ganze Elend gehen. Natürlich ist dem nicht ganz so, denn es gibt immer wieder Szenen, die mich völlig schockieren und die besonders eingebrannt bleiben und vielleicht auch notiert werden. Das, was aber außen vor bleibt, sind die ständigen kleinen, meist größeren Schocks, die mich bei fast jedem Schritt bzw. Blick treffen. Denn unter normalen Umständen müsste mich fast jedes Mal das pure Entsetzen packen, wenn man die Häuser oder kleinen Läden schaut, die Menschen betrachtet, welche auf dem Boden sitzen zwischen massenhaft Müll, Unrat, teilweise Fäkalien, hin und wieder mehr oder weniger verwesten Kadavern von Ratten und vielleicht noch etwas verkaufen wollen. Da nach einem Blick aber sofort etwas Neues ins Auge fällt, was genauso erschreckend ist, fängt man an, sich daran zu gewöhnen und nur noch die daraus hervorstechenden Ereignisse aufzunehmen. Diese reichen immer noch aus, um mich abends total fertig zu machen, dabei bräuchte ich eigentlich noch Zeit, um mit der Tatsache klar zu kommen, daß ich nun so weit von zu Hause und Katja weg bin und noch sehr lange sein werde. Aber im Gegensatz zu den Eindrücken des Tages erscheint dies fast als kleines, unwichtiges Problem, was nichts daran ändert, dass es jedes Mal spätestens kurz vor dem Einschlafen hochkommt.

Ein anderer Gedanke kam mir heute immer wieder in den Sinn: Wie wird es wohl sein, wenn wir in Australien oder den USA sind? Werden wir uns dort überhaupt noch für die dortigen Sehenswürdigkeiten interessieren, oder wird nicht vielmehr alles total unwichtig gegenüber dem tatsächlich gelebten Mittelalter hier in Nepal? Was ist dagegen die vielleicht 200jährige Geschichte Australiens, wo die Vergangenheit nur noch zu erahnen ist? Aber wahrscheinlich werden wir die etwas ruhigere Zeit dort bitter nötig haben, denn die Zeit hier geht ganz gewaltig an die Substanz, und wir sind gerade 5 Tage hier.

Montag, 16.1.95, ca. 14.00 Uhr, Durbar Square

Heute ist Ruhetag, denn ich habe noch nicht einmal das Geschehen von gestern aufgeschrieben und könnte nichts Neues mehr aufnehmen. Daher habe ich erst mal richtig ausgeschlafen und mich jetzt mitten auf dem Durbar Square auf die vorletzte Stufe eines Tempels gesetzt mit Walkman auf den Ohren, um zum einen den Lärm des Marktgetümmels fünf Meter unter mir, zum anderen aber auch die aufdringlichen Händler abzuwehren und, o Wunder, es funktioniert.

Also zu gestern: Nach dem mittlerweile obligatorischen Croissant-Frühstück erlebten wir zum wiederholten Male eine sehr positive Überraschung mit unserem Hotel, denn nachdem wir zum ersten Mal den Schlüssel an der Rezeption abgaben, war das Zimmer Tipp Top aufgeräumt und geputzt, was allerdings auch nötig wurde. Danach wurde es dann wieder ungemütlicher, da wir uns um ein Treckingpermit für die Annapurna-Tour kümmern mussten. Das Immigration Office fanden wir diesmal sehr schnell, uns wurde dann auch sehr von zwei Nepalesen geholfen, die allerdings nicht, wie wir vermuteten, zum Amt gehörten, sondern zu Reisebüros der Umgebung, und uns Angebote für Bustour und Flug nach Jomson machten. Da dies nicht schlecht klang, gingen wir erst einmal mit. Doch dann bekamen wir ziemlich große Augen, als zu den gesamten Preisen auf einmal noch 20 DM pro Peson als Vermittlungsgebühr berechnet wurden. Nachdem wir zunächst unsere Pässe wiederbekommen mussten, verließen wir sehr schnell diesen merkwürdigen Service. Woraufhin wir in einem anderen Reisebüro, wo wir die Busfahrt 1,50 DM billiger bekamen, erfuhren, dass im Augenblick keine Flüge nach Jomson stattfinden, da dort 40 cm Schnee auf der Landepiste liegen, und schließlich unser Treckingpermit ohne zusätzliche Gebühr selber besorgten, was aber auch schon 40 DM pro Person kostete.

Danach fuhren wir dann wieder einmal Tucktuck, diesmal allerdings noch halsbrecherischer als je zuvor, nach Swa*****

Kurzer Einschub. - Ich bin mittlerweile, glaube ich, zu einer Attraktion für die hier lebenden Kinder geworden, da sie anscheinend noch nicht allzu häufig jemanden gesehen haben, der hier einfach sitzt mit Stöpseln in den Ohren, aus denen Musik kommt, und sich dann etwas in einem Buch notiert. Appropos Attraktion: Ich habe die ganze Zeit immer wieder vergessen zu erwähnen, dass Timo überall, wo wir auftauchen, zu einer Sehenswürdigkeit wird, da die Durchschnittsnepalesen allerhöchstens 1,60 m groß sind. Timo könnte genauso gut quietschgelb herumlaufen, mehr auffallen würde er auch nicht.

Also, wir fuhren zu dieser heiligen Stupa, welche oberhalb von Katmandu auf einem Hügel liegt und über 365 Stufen zu erreichen ist, welche gesäumt sind von Souvenirhändlern, Bettlern und Krüppeln. Oben angekommen, beeindruckten uns zunächst einmal die unzähligen Affen, die alle Tempelanlagen bevölkerten und fest im Griff zu haben schienen. Wobei einige sehr eigentümliche Hobbys, andere wiederum verkrüppelte Beine hatten und daher auf den Händen gingen. Eins war jedoch allen gemeinsam: von den Scharen an Touristen ließen sie sich nicht beeindrucken. Wir dagegen waren total fasziniert von einem billiardähnlichen Spiel, dem die Jugendlichen dort oben mit atemberaubender Geschicklichkeit nachgingen. Im übrigen kauften wir jeder ein Stoffportrait unbekannter älterer Nepalesen, welche mit 3 DM sicher nicht zu teuer waren. Die Stupaansicht mit ihren bunten, sehr intensiven Augen und dem Treiben um sie herum war natürlich auch wieder sehr interessant, aber bei der Fülle an Heiligtümern gewöhnt man sich schon fast daran.

An dieser Stelle wurde ich zum zweiten Mal unterbrochen von einem Nepalesen, mit dem ich mich den Rest des Nachmittags unterhielt, aber dazu später mehr.

 

Montag, 16.1.95, 18.00 Uhr, Zimmer

Zurück sind wir gestern dann gegangen, wobei man naturgemäß viel mehr mitbekommt als wenn man auf irgendeine Weise fährt. Wir gingen also mal wieder am schon fast zur Normalität gewordenen Elend vorbei. Besonders fiel dabei nur der Fluss auf, welchen wir überquerten. Er war eine einzige Mülldeponie, garantiert kein einziger Quadratmeter mehr ohne Dreck, dazwischen neben all den streunenden Hunden und dort lebenden Menschen auch ein toter Hund achtlos liegengelassen, er fiel schon fast nicht mehr auf.

Ja, und dann waren da noch die zahlreichen "Fleischgeschäfte", an welchen wir vorbeikamen. Mit wurde ein paar Mal so schlecht, dass ich mich überwinden musste, um mich nicht zu übergeben. An die toten Hühner habe ich mich ja schon fast gewöhnt, deren Köpfe locker vom Ladentisch hängen. Aber an halbe Büffel, die nur zum Teil ausgenommen sind, deren Köpfe mit Gras im Maul dekoriert und bis auf die Knochen abgeschabt mitten vor der "Schlachterei" auf dem Boden, fast auf der Straße liegen, keinen Meter von einer der vielen mittlerweile plattgetretenen Ratten davon entfernt, nein, daran kann ich mich noch nicht gewöhnen. Genauso wenig wie an die Schüssel, bis obenhin gefüllt mit Hühnerfüßen und Büffelbeinen. Wir beschlossen jedenfalls, auf gar keinen Fall mehr hier noch einmal Fleisch zu essen.

Gestern Abend waren wir zum dritten Mal im Utse direkt bei uns gegenüber essen. Noch einmal etwas Neues auszuprobieren, hatte ich nach dem Tag gestern nun absolut keine Lust mehr. Im Utse unterhielten wir uns noch kurz mit einem deutschen Pärchen, welches schon seit sieben Monaten zuerst mit dem Bus, später mit dem Flugzeug, unterwegs war und noch mal sieben Monate weitermachen wollte. Dieses Pärchen ordnete uns auch sofort als Norddeutsche ein, schade bloß, dass der erste Tipp dann Düsseldorf war. Dieses Pärchen erinnerte mich aber auch abermals sehr stark an Katja, so dass ich hinterher meinen ersten Brief dieser Reise, natürlich an Katja, schrieb: Ich glaube, es wäre eines der schönsten Dinge, die ich im Leben machen könnte, wen ich diese oder eine ähnliche Reise mit Katja zusammen machen könnte. Auch wenn wir uns hier dann sehr zusammenreißen müssten, da hier "äußere Zeichen von Anziehung" wie z.B. Arm in Arm gehen oder gar küssen überhaupt nicht üblich sind und daher auch nicht gern gesehen werden. So steht in den Verhaltensvorschriften für das Annapurnatrecking: "Avoid outward displays of physical affection" (Vermeiden Sie äußere Anzeichen körperlicher Zuneigung), was mir sicherlich nicht leicht fallen würde.

Nun aber zu heute: Nachdem ich, wie gesagt, lange geschlafen hatte, ging ich zum ersten Mal ganz allein in die Stadt, wo ich mir zunächst erst mal neue Patronen für meinen Füller besorgte, wie man vielleicht sieht, und mich dann zum Durbar Square begab. Timo fuhr derweil mit dem Rad nach Pantan. Nachdem ich einiges geschrieben hatte, sprach mich erst einer der "Touristenführer" dort an, wollte aber nur etwas mehr über Deutschland erfahren, woraufhin ich ihm ein wenig erzählte, was aber schwierig war, da er nichts Konkretes fragte. Später dann sprach mich ein weiterer Nepalese an, wieder auf Englisch, woraufhin sich etwas zögernd ein dann doch recht lebhaftes Gespräch entwickelte.

Er lebt eigentlich in Birma, zusammen mit seiner Schwester und Mutter, sein Vater arbeitet in Saudi Arabien, sein Bruder lebt mit einer Engländerin in England, er selbst hatte in Indien studiert, besuchte seinen Cousin in Nepal und will am 9. Februar Freunde in Spanien besuchen. Dort hofft er dann eventuell, mit Hilfe der Freunde Arbeit, ein kleines Zimmer und eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, um dann auch Spanisch lernen zu können. Ansonsten meinte er, sei Nepal schon sehr sauber geworden, was ich nicht recht glauben konnte. Er erzählte aber, dass man hier früher kaum durch die kleinen Gassen gehen konnte, da sie als Toilette benutzt und als große Mülldeponie missbraucht wurden. Außerdem war es sehr interessant, etwas über Birma zu erfahren. So herrscht dort eine Militärdiktatur, so dass man früh morgens und abends nach 8.00 Uhr nicht mehr auf die Straße darf.

Nachdem wir uns in ein kleines Restaurant zum Tee und einem indischen Gericht (eine Art hauchdünner Pfannkuchen mit Gemüsefüllung) zusammengesetzt hatten, entspann sich ein längeres Gespräch über Freundinnen und Beziehungen. Ich hatte ihm durch einen Zufall erzählt, dass ich in Hamburg eine Freundin hätte, was ihn ziemlich wunderte. In Birma und fast noch stärker in Nepal ist es, wie er berichtete, so gut wie Pflicht, ein Mädchen zu heiraten, so bald man eine Nacht mit ihr verbracht hat. Zudem werden die Ehepartner meist noch von den Eltern ausgesucht. Nach der Heirat ist man dann ganz stark an die Familie gebunden, hat für sie mitzusorgen und, falls man nicht gerade sehr weit wegzieht, auch bei ihr zu wohnen. Insofern war es für ihn völlig ungewöhnlich, und er hatte noch nie etwas ähnliches gehört, dass ich einmal um die Erde reise und zu Hause eine Freundin habe. (Ich habe dies allerdings auch noch von keinem gehört.) Zudem erzählte er, dass die Frauen auch heute noch meistens im Prinzip Eigentum des Mannes werden, daher auch nur die Söhne für die Eltern im Alter verantwortlich sind, was bedeutet, dass sie die Eltern aufnehmen und versorgen, wenn diese mit 50-60 Jahren nicht mehr arbeiten können. Die Eltern widmen sich dann meist ganz und gar dem religiösen Leben in den Tempeln und Heiligtümern.

Bei ihm in der Familie ist es mit dem Heiraten zwar nicht ganz so streng, aber trotzdem ist die Familie noch sehr wichtig, und er muss sich, obwohl er 24 Jahre ist, immer noch für alles den Segen der Familie holen, falls er sich nicht total mit ihr überwerfen will. Daher belässt er es immer noch bei reinen Freundschaften mit Mädchen. Wie er es ausdrückte, "öfter mal einen Tee zusammen trinken und sich mit ihnen unterhalten, aber keine Emotionen."

Hamburg kannte er im übrigen nach einigem Überlegen auch, da er begeisterter Tennis-, Fußball- und Crickett-Fan war, nämlich als den Ort des Attentats auf Monica Seeles. Für den Fall, dass er im Juli noch in Spanien ist, habe ich ihm angeboten, mal nach Hamburg zu kommen. Mal sehen, was daraus wird, zu wünschen wäre es ihm, dass sein Traum mit Spanien in Erfüllung geht.

Ich für meinen Teil habe noch nie in meinem Leben soviel Englisch an einem Tag gesprochen und war dementsprechend begeistert, dass man sich mit so wenig Kenntnissen so gut unterhalten kann. Außerdem weiß ich jetzt auch wieder, warum ich diese Reise mache, denn der persönliche Kontakt zu den Menschen, die hier leben, ist wirklich das Spannendste überhaupt.

Dienstag, 17.1.95, 21.00 Uhr

Wir haben ein neues Stammrestaurant gefunden, das "Elegance Restaurant" hier in unserer Straße. So haben wir nach einem super Abendessen gestern Abend dort heute morgen ein vorzügliches Frühstück mit Müsli, Bratkartoffeln, Joghurt, Tee und French Toast bekommen, alles zusammen für 2 DM pro Person. Das beste ist jedoch das freundlichste und lustigste Personal in ganz Katmandu. So wurden wir gestern Zeugen der Nepalpremiere von "Carpe diem" und anderen Liedern von Frank und Timo, da der Chef oder Kellner sofort bereit war, unsere Kassette abzuspielen. Wir wissen zwar nicht so genau, ob es ihm nun gefallen hat, auf jeden Fall war er so fasziniert, dass er sich erkundigte, wer denn dort spiele. Aber das Personal und der Chef selbst sind auch sonst immer ein Genuss, so etwas Fröhliches und dabei unglaublich Zuvorkommendes erlebt man nicht alle Tage. Allerdings erfuhren wir heute auch, dass dort den ganzen Abend über höchstens 7 Gäste kommen und somit Gäste, die soviel essen und mehrmals kommen, natürlich schon fast eine Attraktion sind. Trotz allem glaube ich, kommt die Fröhlichkeit, die dieses Restaurant ausstrahlt, von Herzen.

Als wir heute Abend wieder dort aßen, wieder jeder zwei Gerichte und insgesamt zwei große Kannen Tee, alles für 8 DM, wurde uns allerdings auch schlagartig klar, was der Preis für all die wirklich günstigen Dinge ist, welche wir hier geradezu in Massen konsumieren. Der Kellner, mit dem wir uns einige Zeit unterhielten, erzählte uns nämlich, dass er sieben Tage die Woche von morgens um 6.00 Uhr bis abends um 10.00 Uhr arbeiten bzw. anwesend sein muss und dafür einen Monatslohn von 20 DM bekommt. Dies ist noch nicht einmal die Hälfte des Mietpreises für das Zimmer, welches er mit einem Onkel zusammen bewohnt. Trotz allem findet er dies besser als in seinem Dorf zu bleiben, in welchem keiner eine bessere Ausbildung hat. So hat er jedenfalls die Hoffnung, später einen besseren Job zu finden und sich somit eventuell das Geld für ein Studium zu verdienen. Ich möchte beim besten Willen nicht wissen, was die Putzfrauen in unserem Hotel verdienen, und irgendwie habe ich schon ein schlechtes Gewissen, wenn man dann noch ständig versucht, den billigsten Preis auszuhandeln.

Gestern habe ich noch einmal mit meiner Mutter und meiner Schwester telefoniert, was jedes Mal wieder ein Erlebnis ist, mit diesem Spielzeugtelefon hier im Zimmer. Ich hoffe bloß, dass Katja wirklich den Abschied schon recht gut verdaut hat, wie sie berichteten.

Heute habe ich meinen zweiten Brief der Reise geschrieben, diesmal an Nicky zum Geburtstag, da ich während ihres Geburtstages wahrscheinlich mit dem Schnee rund um das Annapurnamassiv kämpfe und somit schlecht auch nur für eine Minute anrufen könnte. Diesen Brief haben wir dann zusammen mit dem an Katja persönlich zum General Post Office gebracht, da man hier darauf achten muss, dass die Briefmarke auch abgestempelt und nicht an der nächsten Ecke wieder abgepult wird. Die Fahrt dorthin war auch wieder etwas Besonderes, diesmal nicht aufgrund der Fahrweise, sondern wegen des Fahrers selber. Dieser fing, nachdem er die ersten Abgase an der Kanti Path eingeatmet hatte, derart an zu husten und hörte nicht mehr auf, dass wir uns Gedanken machten, ob er es überhaupt noch bis zum Post Office schaffen würde.

Einschub: Wir haben gerade in den Nachrichten erfahren, dass heute eine Maschine von Royal Air Nepal in Katmandu abgestürzt ist, da sie vermutlich überladen war und daher den Start nicht schaffte. Es war im übrigen derselbe Typ, mit welchem wir in 3 Tagen nach Jomson fliegen wollen. Das macht Mut. Zumal ich gerade gelesen habe, dass selbst der Flughafen in Katmandu kein Radar hat und somit der zweitschwierigste Flughafen in Asien ist. So werden wir auch beim Weiterflug nach Bangkok unsere Freude haben.

Donnerstag, 19.1.95, 1.00 Uhr, Dach des "Hotels" Super Lodge Pokara

Wir sind mittlerweile in Pokara angekommen, und mir geht es schon wieder besser nach heftigen Kopfschmerzen gestern infolge der Busfahrt. Timo hat jedoch starke Halsschmerzen und ein sehr unangenehmes Magengrummeln, wollen wir hoffen, dass es genauso schnell vorübergeht wie meine Kopfschmerzen. Der Flug nach Jomson ist immer noch völlig ungewiss, aber dazu und zur Ankunft hier später mehr. Zunächst will ich dort weitermachen, wo ich vorgestern aufgehört habe:

Nach dem Besuch des Postamtes fuhren wir nach Paschapatinath, einem der heiligsten Orte für Hindus überhaupt. Einige pilgern extra aus Indien, einige 100 km dorthin, um sich im Fluss zu reinigen. Das Szenario, was sich dann dort vor unseren Augen abspielte, war wieder einmal nur schwer zu beschreiben und äußerst beeindruckend. Als erstes fielen uns wieder die Affen auf, die dort in Scharen hausten. Besonders eigenartig war es, als sich fast alle dort vorhandenen Affen plötzlich versammelten und gemeinsam zum Zentrum des Heiligtums, den Ufern des Bayamat-Rivers, stürmten, um dort zu trinken und zum Teil zu baden.

Doch dann wurde es ernst. Wir hatten zwar schon gelesen, dass dort am Flussufer die Hindus ihre Toten verbrennen, um die Asche dem heiligen Fluss zu übergeben, doch als auf einmal mitten durch die Touristen und betenden Hindus ein Toter, nur in ein Leinentuch gewickelt, auf einer einfachen Bahre an uns vorbeigetragen wurde, war mir doch sehr seltsam zumute. Als daraufhin ein Holzstapel errichtet wurde, war ich dann aber so fasziniert, dass ich völlig vergaß, wie unbequem ich mich auf das gegenüberliegende Ufer hingehockt hatte, was mir dann eine halbe Stunde später um so schmerzhafter bewusst wurde, als ich versuchte aufzustehen. Ich glaube, meine Füße haben noch nie so stark gekribbelt bzw. geschmerzt. Auch, dass Timo verschwunden war, hatte ich nur am Rande mitbekommen. Er war nämlich zu einem heiligen Mann eingeladen worden, der, wie er mir später erzählte, seit 15 Jahren nur morgens, mittags, abends jeweils eine kleine Tasse Milch trinkt und sich entgegen allen wissenschaftlichen Voraussagen bester Gesundheit erfreut.

Ich war jedoch sitzen geblieben und erlebte während der Errichtung des Holzstapels eines der merkwürdigsten "Schauspiele", die ich je gesehen habe. Zunächst setzte sich ein durch Drogen dem Nivana anscheinend schon sehr nahegekommener Saddu (Männer auf ewiger Pilgerschaft, die nur für das Gebet leben) in die Nähe des Stapels und fing an, im Schneidersitz hockend, einen ganzen Haufen von wahrscheinlich Marihuanaröllchen rauchend, sehr wild auf und ab zu wippen und dabei lautstark einige sich ständig wiederholende Sätze auszurufen. Da selbst die Nepalesen angesichts dieses völlig außer sich geratenen Mannes sehr erheitert zu sein schienen, glaubte ich nicht, dass dies so üblich ist, und es wohl auch kein Gebet war, was dieser von sich gab. Dann erschien eine Gruppe von ca. 15 Indern, die zum Ufer marschierten, sich dort fast vollständig entkleideten und begannen, sich immer in ein und demselben Ritual zu waschen und schließlich einen Teil ihrer Kleidungsstücke in den Fluss zu werfen (ich weiß nicht, ob sie diese später wieder herausfischten, jedenfalls liefen sie ihnen ein ganzes Stück hinterher). Da sie dies alles an haargenau derselben Stelle taten, wie zuvor die Horden von Affen, wirkte es schon sehr eigentümlich, auch wenn diese Parallele wahrscheinlich sehr unpassend ist. Erwähnt sei nur noch, dass der Fluss alles andere als sauber war und ich mich geweigert hätte, auch nur einen Fuß dort hineinzusetzen.

Nun begann aber auch die Zeremonie für den Toten. Zuerst wurde dessen Gesicht mit dem Wasser des Flusses gewaschen und dann mit Farbe bemalt. Der nun mit einem gelben Tuch bedeckte Körper wurde dann ebenfalls mit Farbe bestäubt und mit Blumen übersät. Daraufhin wurde der Leichnam nach kurzem Gebet ein paar mal um den Holzstapel getragen, schließlich darauf gelegt, mit nassem Stroh bedeckt und schließlich angezündet. Wobei ich, als aus dem Feuer irgendwo die Füße herausschauten, doch heftig schlucken musste. An anderer Stelle wurden später noch zwei Männer und ein Kind verbrannt, wobei sich herausstellte, dass die Zeremonien zum Teil sehr unterschiedlich sind, wahrscheinlich auch abhängig von den finanziellen Verhältnissen der Familien.

Besonders mitgenommen waren wir (Timo hatte sich mittlerweile wieder eingefunden) allerdings von einer sehr prunkvollen und zugleich sehr emotionalen Zeremonie, wo die Trauer der Hinterbliebenen sehr deutlich wurde. Da saßen wir also, bei weitem nicht die einzigen Zuschauer, auf der einen Seite des Flusses, uns gegenüber wurden die Kleidungsstücke des lautstark betrauerten Toten gerade dem Fluss übergeben, links davon der brennende Leichnam eines Kindes, rechts eine äußerst ärmliche, formlose Zeremonie, ein Stück weiter oberhalb des Flusses sich waschende Gläubige, ein Stück unterhalb zwischen Bergen von Kleidungsstücken und verkohltem Holz ein paar Geschirr und Kleidungsstücke waschende Frauen. Eine unbeschreibliche Atmosphäre aus Faszination, Abgestoßensein, aber vor allem Unwohlsein, weil man als Ungläubiger in etwas sehr Privates Einblick erhält.

Als Abschluss in Paschapatinath besuchten wir noch das dort ansässige Behindertenheim, welches uns abermals einen Schock versetzte. Dass es in einem der ärmsten Länder der Erde mit sozialen Einrichtungen nicht sehr gut aussieht, kann man sich ja noch denken. Wenn das Behindertenheim allerdings nur aus ein paar Gängen um einen großen Innenhof besteht, die dicht an dicht mit Betten vollgestellt sind, in welche nur durch ein paar Luken Licht einfällt, entsetzte es uns doch. Zumal es keine Beaufsichtigung oder gar Pflege zu geben schien, außer zwei Mahlzeiten (Reisbrei), welche im Innenhof auf dem Boden zu sich genommen werden. Was für ein Kontrast zu den Winterhuder Werkstätten, aber man muss wahrscheinlich sehen, dass es vielen "normalen" Menschen hier nicht besser geht, wenn nicht sogar noch schlechter.

Nachzutragen bleibt zu Paschapatinath nur noch, dass mein Reiseführer, der sogenannte "Insiders Guide", welcher uns schon zu so manchen Lachanfällen verleitete, uns nun endgültig die Sprache verschlug und sich vollends disqualifizierte, als wir herausfanden, dass dort die Totenverbrennung mit keinem Wort erwähnt wird. Einen schlechteren Reiseführer habe ich noch nicht erlebt. Ich schätze, wir werden die wirklich gelungenen Fotos ausschneiden.

Freitag, 20.1.95, 11.00 Uhr, Dach des Hotels in Pokara

Ich hänge in letzter Zeit immer zwei Tage mit meinen Aufzeichnungen zurück, da wir die Abende meist damit verbrachten, uns über das Erlebte oder unsere Probleme zu unterhalten. Ich hoffe aber, dass ich heute ein wenig aufholen werde, da wir nicht wie eigentlich geplant, zum Trecking aufgebrochen sind, sondern das ganze wegen Timos Krankheit zunächst einmal auf morgen verschoben haben.

Also zu unserer Ankunft vor zwei Tagen: Wir fuhren in Katmandu in aller Herrgottsfrühe ab, so dass wir selbst um 5.00 Uhr aufstehen mussten. Die eine Mark, welche wir durch die Benutzung des Touristenbusses anstatt des Minibusses gespart hatten, stellte sich spätestens bei Fahrtbeginn als folgenschwerer Fehler heraus. Da es an diesem Morgen lausekalt war, wurde es nämlich mehr als ungemütlich, als sich weder die Türen des Busses noch die Fenster anständig verschließen ließen. So waren unsere Füße bald Eisklumpen, und ich, der am Fenster saß, entging einer Mittelohrentzündung nur, indem ich mit dem ganzen Kopf in meiner Jacke verschwand und auch noch meine Arme ganz dort hinein verzog. Wenn das ganze auch sehr komisch ausgesehen haben mag, entkam ich so jedenfalls der Erkältung, die Timo sich dort zuzog.

 

Freitag, 20.1.95, 2.00 Uhr, Pokara, See, Sonne

Die Busfahrt war aber auch noch in anderer Hinsicht denkwürdig und ungemütlich. Wir befuhren wohl eine der schlechtesten Hauptstraßen, die ich je gesehen habe, alle Naslang war die halbe Straße den Hang hinabgerutscht, lagen fußballgroße Gesteinsbrocken auf der Straße, oder sie war auf ganzer Breite aufgerissen mit zum Teil riesigen Schlaglöchern übersät. Dazu kamen abenteuerliche Überholmanöver, nur wenige Zentimeter an uns vorbei donnernde Lastwagen und äußerst klapprige Brücken. Dies alles in einem Bus, welcher eine eventuelle Federung nur erahnen ließ. So ließen sich die später auftretenden Kopfschmerzen auch relativ leicht erklären. Schön war allerdings die Aussicht auf die Täler, Schluchten, Berge, Dörfer und im Hintergrund immer wieder die fast unwirklich scheinenden, schneebedeckten Gipfel des Himalajas.

In Pokara angekommen, wurden wir auf dem Busbahnhof, nicht viel mehr als eine große Wiese, wieder einmal von Hotel- und Taxibesitzern bestürmt, diesmal aber schon wesentlich gemäßigter als in Katmandu. Auch wenn wir einen von ihnen absolut nicht mehr los wurden und schließlich sogar bei ihm einzogen, ist es hier viel angenehmer als in Katmandu. Man kann durch die Straßen gehen, fast ohne angesprochen zu werden. Alles ist viel weitläufiger und ruhiger; dazu kommt eine phantastische Kulisse mit einem großen, von Bergen eingerahmten See und vor allem einem super Klima mit angenehmen Temperaturen, teilweise Sonnenschein und frischer Luft. Alles in allem hat man eher das Gefühl, sich in einem der ärmeren, im Gegensatz zu Katmandu aber schon luxuriösen Mittelmeerorte zu befinden. Geradezu paradiesisch! Allerdings waren wir am Ankunftstag dermaßen von der Reise erledigt, dass wir einen der größten finanziellen Fehler seit Ankunft in Nepal begingen:

Hier gibt es, wie anscheinend überall, wo Touristen sind, unzählige Shops, die T-Shirts verkaufen. Mit dem Unterschied, dass hier keine Aufdrucke darauf sind, sondern mit Nähmaschinen per Hand gefertigte direkt aufgenähte kleine Kunstwerke. So kann man praktisch alles auf T-Shirts nähen lassen, was einem einfällt. Als wir nun einen dieser kleinen Shops bzw. Werkstätten zum erstenmal näher betrachteten, waren wir von den Möglichkeiten, die es gab, dermaßen begeistert, dass wir das Handeln völlig vergaßen. So hatte ich am Ende ein T-Shirt mit den Augen der Stupas (also Buddha-Augen) auf der Frontseite, darüber in nepalesischer Schrift "Katja", und auf der Rückseite mit tibetischer Schrift den tibetanischen Spruch: "Möge der Frieden die Welt beherrschen", welcher auch auf den Stupas zu finden ist, alles zusammen für 17 DM. Timo, welcher vorn den Spruch und die Augen und auf der Rückseite "World Tour 95", "Timo" auf Nepali und "Nepal" mit ein paar Bergen stehen hat, musste sogar 23 DM bezahlen, da sie wohl merkten, daß hier noch mehr herauszuholen war. Erst zu Hause fiel uns auf, was für wahnsinnige Preise dies für Nepal sind und dass wir sicher an die 10 DM hätten sparen können.

Aber was soll's! Mein T-Shirt gefällt mir echt gut, und nachdem sich Timo heute noch einmal über die etwas mickrig ausgefallene Rückseite beschwerte, bekommt er sogar noch die restlichen Reiseländer ohne Zusatzkosten aufgenäht. Als Abschluss des Tages aßen wir in einem der teuersten Hotels der Stadt (Doppelzimmer für eine Nacht 70 $), welches nun völlig vergessen ließ, daß wir uns in Nepal befanden und locker mit gehobenen Restaurants in Deutschland mithalten konnte. Insofern war das Essen für zwei Pizzen - allerdings sehr kleine - und zwei Getränke mit insgesamt 8 DM zwar für hiesige Verhältnisse teuer, sonst aber recht günstig.

Gestern war dann wieder ein dringend benötigter Ruhetag, wie heute im übrigen auch noch. Außer einer Gitarrensession von zwei Australiern ? am Abend, von welcher die Nepalesen so begeistert waren, daß sie sich animiert fühlten, ein paar einheimische Lieder vorzutragen, und dazu sogar noch eine orientalisch anmutende Tanzeinlage anzubieten, verlief der Tag relativ unspektakulär. So verbrachte ich die Zeit mit ein wenig Waschen und dem Beobachten der Baustelle gegenüber, auf der mit einfachsten Mitteln (Hämmern und kleinen Schaufeln) ein sehr ansehnliches Haus von einer anscheinend riesigen Familie gebaut wird. Abends unterhielten Timo und ich uns noch recht lange über vor allem seine, aber auch meine Probleme, wodurch ich fast das Abendessen verpasst hätte.

 

Freitag, 20.1.95, 21.00 Uhr, Zimmer

Heute war nun wirklich ein absoluter Ruhetag. Zunächst ein wenig in der Sonne auf dem Dach gesessen, dann zum See spaziert, wieder in die Sonne gesetzt und die Ruhe genossen. Dabei den Frauen beim Waschen im See zugesehen, die Raubvögel beobachtet, ein wenig geschrieben, zwischenzeitlich etwas in der "German Bakery" gegessen und die Jacke von Vögeln über mir im Baum gleich mehrfach bescheißen lassen. So war dann noch das Spektakulärste, daß Timo einen neuen Freund gefunden hat (Kurt, meine Kuschelmaus), mit dem er sich gegen den "Ursprung allen Ärgers", die Frauen (Zitat aus Timos heute erworbenem Buch Tai-Pan) verbündet hat. Ich weiß nicht, wie Kurt darüber denkt, er hat Timo aber im Gegensatz zu mir, der ihm immer von Katja erzählt und vorschwärmt, jedenfalls nicht widersprochen.

Im übrigen haben wir beschlossen, morgen nochmals auszuruhen und uns langsam aufs Trecking vorzubereiten, aber noch nicht loszuziehen, da Timo immer noch nicht ganz wieder auf den Beinen ist. Übermorgen geht es dann aber hoffentlich los, und zwar von hier aus zu Fuß nach Jomson, wo wir dann hoffentlich ein Flugzeug bekommen, das Ticket dafür haben wir jedenfalls schon für 70 DM pro Person, welche die Bilanz schon jetzt in Nepal, über unseren berechneten Tagesdurchschnitt hat rutschen lassen.

Samstag, 23.1.95, 20.00 Uhr, 2 Stunden von der nächsten Straße entfernt

Im Moment fehlen mir etwas die Worte, um die augenblickliche Situation beschreiben zu können, also erst einmal zu gestern: Den Tag gestern verbrachten wir noch ruhiger als alle vorangegangenen, so setzten wir uns morgens in die Sonne vor die German Bakery, frühstückten sehr ausgiebig und blieben dort bis nachmittags um 16.00 Uhr sitzen. Ein wenig Briefe und Karten schreiben, etwas lesen und vor allem einfach in der Sonne sitzen und sich unterhalten, das war alles. So bekamen wir die erste sichtbare Bräune der Reise. Nach ein paar Besorgungen und dem Packen, vor allem Auspacken der Rucksäcke, begaben wir uns noch zum Abendessen in ein kleines Restaurant. Auch dort verweilten wir wieder sehr lange, da Timo und ich uns ein sehr langes Schachspiel lieferten, wobei Timo schließlich aber ärgerlicherweise doch gewann.

Heute Mittag war es dann soweit: nach einem erneuten Besuch der German Bakery und des Postamtes fuhren wir mit dem Taxi zur "New Bridge", ca. 1 Stunde von Pokara entfernt (für 7 DM), und begannen das Trecking. Wobei sich gleich auf den ersten Metern herausstellte, dass es doch etwas anderes als das Wandern zu Hause ist. Da ist zunächst einmal das doch recht beträchtliche Gepäck, vor allem aber die sogenannten Wege. Mit Wanderwegen haben diese nun wirklich nicht mehr viel gemeinsam. So wechseln sich Geröllbahnen mit Schlammpfützen und Wegen ab, die nur daraus vom Rest zu unterscheiden sind, dass sie etwas tiefer liegen und die überall herausstehenden Steine meist nicht mehr als 20 cm aus der Erde schauen. Ja und dann sind da noch die Hängebrücken, welche bis jetzt allerdings noch die wenigsten Probleme verschafften. Allerdings konnten wir bisher immer nur ziemlich blöd gucken, wenn wir mit festen Schuhen, perfekten Rucksäcken und warmen Klamotten ausgestattet, die Nepalesen sahen, welche sicher, fast locker auf diesen Wegen gingen, bepackt mit sehr vollen, schweren Körben, barfuss, in ein Paar Badelatschen. Zudem sind sie, wie im übrigen fast alle Nepalesen, sehr dünn, und es ist mir schleierhaft, woher sie die Kraft nehmen. Ich jedenfalls hatte schon einige Probleme und merkte sehr schnell meine Oberschenkel, als ich auf diesen Wegen, bepackt mit 1/4 meines Körpergewichtes, auch noch bergauf und bergab gehen musste. So war ich denn auch froh, dass wir heute nur zwei Stunden gingen und uns dann, als es langsam dunkler zu werden begann, in eine der vielen, immer wieder am Weg liegenden Lodges einquartierten, Doppelzimmer 1,50 DM. Tja, und hier liege ich nun in einem kleinen Raum, in welchem Timo kaum stehen kann, mit einer dieser unglaublich kleinen Türen (ca. 1,60 m), im ersten Stock über eine winzige Außentreppe zu erreichen, bei Kerzenschein, da es hier im ganzen Tal absolut keinen Strom gibt. Draußen rauscht der Bach, es hat gerade aufgehört zu regnen, hin und wieder hört man eines der Hühner, welche überall im Haus herumlaufen, und draußen ist es so stockfinster, wie ich es noch nie erlebt habe. Nicht das winzigste Lichtlein zu sehen.

Eben haben wir im Raum unter uns beim Schein einer kleinen Kerze (ich wusste gar nicht, wie viel Licht von einer Kerze ausgehen kann) etwas gegessen. Dieses im übrigen sehr gute Essen wurde von der ganzen Familie im Nebenraum auf einem kleinen mit Holzfeuer betriebenen Ofen in ungefähr einer Stunde in aller Ruhe gekocht. Wenn man dann den kleinen Jungen mit einer Kerze durch das Haus wandern sieht, weil noch etwas geholt werden muss, wird einem erst vollständig bewusst, was es heißt, ganz ohne Strom zu leben. Es fehlt halt nicht nur der Fernseher, sondern fast alles, was ich als selbstverständlich hinnehme. Dann im Stockfinstern mit einer Taschenlampe (gottseidank keine Kerze) zunächst über den Hund und dann über den Hof und Weg zur Toilette zu stolpern, welche eine kleine Butze über dem Fluß mit einem kleinen Loch in der Mitte und zwei Erhöhungen für die Füße ist, lässt einen ein wenig ahnen, wie die Menschen hier leben und früher auch bei uns gelebt haben. Neben der Toilette ist ein kleiner Eimer mit einem Gefäß zum Spülen der Toilette und zum Händewaschen. Das einzige fließende Wasser gibt es an einem Schlauch, der aus dem Berg kommt und auf dem Weg gegenüber der Toilette endet. Warmes Wasser muss erst auf dem Ofen heiß gemacht werden, und alles, wirklich alles muss zu Fuß einen langen Weg herbeigeschleppt werden.

Katmandu war eindrucksvoll, doch jetzt das Leben hier in den Bergen, so hautnah und am eigenen Leib mitzuerleben, ist absolut unfassbar. Ich war niemals so weit von zu Hause, der Zivilisation und meinem normalen Leben entfernt, und vor allem hätte ich nie gedacht, daß ich es überhaupt könnte. Noch bin ich mir allerdings auch nicht hundertprozentig sicher, ob ich die extremen Belastungen der nächsten Woche so locker überstehen werde, ich will es aber hoffen.

PS.: Ich habe mir gerade zum drittenmal mit der Taschenlampe zwischen den Zähnen den Kopf in dieser verdammt kleinen Toilette gestoßen, ich würde zu gern sehen, wie Timo sich dabei verrenkt.

Mittwoch, 25.1.95, 16.00 Uhr, 
2800 m über n.N., 10 Stunden von der nächsten Straße

Hier ist es ungelogen arschkalt, und dabei ist dieses Haus schon besser als das letzte, hier gibt es jedenfalls im Hauptraum einen kleinen Ofen, so dass man sich ein wenig aufwärmen konnte. Dies half aber heute nacht auch nicht mehr, trotz Schlafsack, Pullover, Schal, zwei Paar Socken, Jeans und einer Isomatte wurde es empfindlich kalt. So war es denn auch kein Wunder, dass Timo nach der anstrengenden Wanderung - gestern total verschwitzt durch Eiseskälte - heute nacht einen heftigen Rückfall bekam. Dabei konnte er auch gleich testen, wie es sich auf einem vereisten Plumpsklo kotzen lässt. Zunächst war ich noch gar nicht mal so böse, einen Ruhetag einlegen zu müssen, doch als sich heute morgen herausstellte, dass der Ofen erst nachmittags beheizt wird, wurde es verdammt ungemütlich. Erst jetzt sind so langsam meine Finger wieder aufgetaut, und auch die Schüttelfrostanfälle, die mich den Morgen über, auch ohne Fieber, heimgesucht haben, verschwinden langsam. Daher habe ich nun zum erstenmal seit drei Tagen wieder die Möglichkeit, etwas aufzuschreiben. Die letzten zwei Tage war es dazu sowohl zu kalt als auch zu anstrengend.

Vor zwei Tagen marschierten wir also nach der noch relativ warmen Nacht und dem kurzen Marsch am Vortag richtig los. Zunächst noch einigermaßen in der Ebene nur hin und wieder ansteigend, dann jedoch ständig steil bergauf über die das Wort Treppen nicht verdienende Steinerde: völlig unregelmäßige Stufen. Mit kleineren Pausen 5 Stunden ständig unterwegs und am Ende 1000 m höher und ziemlich kaputt. Dazu kam, dass wir im besten Sonnenschein losmarschierten und schließlich nassgeschwitzt im kalten Wind ankamen. Wobei wir uns gegenüber den nepalesischen Trägern, welche wir nur noch bewundern konnten, aber glücklich schätzen konnten, da einer dieser Träger mit 30 kg beladen denselben Weg bestritt. Der Lodge-Besitzer erzählte uns, dass dies noch relativ wenig sei, da die meisten 60 kg schaffen, einige sogar 100 kg, was uns nun doch übertrieben schien angesichts der Berge, die sich bei einigen in gigantische Höhen türmen, aber durchaus hinkommen kann. Wobei an dieser Stelle noch angemerkt sei, dass nicht alle Lebensmittel und sonstigen Dinge per Träger, sondern vielfach mit Eseln in die Berge transportiert oder im Sommer vor Ort angebaut werden.

Der Abend in einer wesentlich besser ausgestatteten Hütte, immerhin mit Wasserhahn und einer recht hellen Petroleumlampe im Aufenthaltsraum, von warmem Wasser aber keine Spur, war recht lustig. Dort fanden sich Trecker aus allen möglichen westlichen Ländern, welche die unterschiedlichsten Geschichten erzählten. Der kräftigste Typ war ein in Polen geborener Amerikaner, der jetzt mit ca. 50 Jahren und dem angehäuften Geld schon seit zwei Jahren unterwegs war und noch lange rund um die Welt reisen wollte. Wobei ich einmal mehr feststellte, dass ich doch mehr Englisch verstehe, als ich immer angenommen hatte. So war auch das Romméspiel mit all diesen unterschiedlichen Leuten echt lustig. Gestern wurde es dann richtig hart:

Der immer kälter werdende Wind hielt uns ob der nochmals zu überwindenden 800 Höhenmeter nicht davon ab, wahnsinnig zu schwitzen. Zudem wurde der Weg immer schwieriger, da zum Teil extrem matschig, an einigen Stellen vereist und mit Schnee bedeckt. So achtete ich noch genauer auf den Weg und jeden Schritt, um mich nicht plötzlich 100 m weiter unten wiederzufinden, so dass ich kaum bemerkte, dass sich die Vegetation total verändert hatte: schienen wir doch auf einmal durch einen leicht verschneiten Urwald zu wandern. Von Parasitenpflanzen über und über zugewachsene Bäume mit einem sehr dichten Buschwerk, unterhalb alles in farbigstem Grün, und es hätte mich nicht gewundert, wenn es 50° C wärmer gewesen wäre. Die scheinbar glasklaren Flüsse mit den unzähligen Wasserfällen schienen geradezu zum Baden einzuladen, wenn es nicht so schweinekalt gewesen wäre.

Obwohl auch die gestrige Etappe nicht viel länger als 4 Stunden war, hatte ich doch zum Ende hin große Probleme, mich noch zum nächsten Schritt zu bewegen. Dies lag aber höchstwahrscheinlich nicht nur an den schmerzenden Beckenknochen und Schulterblättern, sondern am fehlenden "Treibstoff", so verputzte ich doch am Abend nicht nur eine Portion Spaghetti, sondern auch noch eine große Portion Dal Bath (nepalesisches Reisgericht) und einen Apfelstrudel problemlos. Woraufhin ich dann allerdings auch das Plumpsklo ausprobieren durfte, was erstaunlich gut ging. Immerhin gab es einen Eimer für das Toilettenpapier, welches ich sonst hätte mitnehmen müssen. Ganz im Gegenteil dazu die erste "Hot Shower" - heiße Dusche - seit Beginn des Treckens. Man stelle sich mitten im Schnee einen flüchtig zusammengeschusterten Holzverschlag vor, in welchem aus einem Duschkopf ein paar Tropfen über dem Feuer erhitzten Wassers kommen. Diese haben Mühe, aufgrund des eisigen Windes, die Füße zu erreichen, welche ihrerseits fast am Boden festfrieren, da auch dieser eiskalt ist. Bis ich wieder in meinen Klamotten war, hatte ich das Gefühl, eine halbe Stunde im Tauchbecken der Sauna verbracht zu haben. Nach einer Viertelstunde am Ofen konnte ich wieder sprechen, und nach einer halben Stunde hörte auch das Zittern wieder auf, aber ich fühlte mich erfrischt.

Donnerstag, 26.1.95, 20.00 Uhr, Tato Pani

Heute war garantiert der Tag, der die größten Gegensätze in sich vereinigt hat, die ich kenne. Wir (Timo ging es wieder besser) standen um 5.00 Uhr auf, um den Poon Hill ca. 3100 m zu besteigen und dort den Sonnenaufgang zu erleben. Dabei war es dermaßen kalt und anstrengend (da gerade erst so halbwegs wach), dass ich, als ich nach einer 3/4 Stunde oben ankam, glaubte, meine Lunge zerspringe in tausend Stücke. Zudem zog es dort dermaßen, dass meine Füße und Hände fast erfroren wären. Timo, gerade dem Krankenbett entsprungen, wollte auf jeden Fall dort mit hoch, auch wenn ich ihn für völlig verrückt erklärte, was er spätestens klitschnass geschwitzt, in der Kälte zitternd auch einsah.

Ich hatte ihm aber vorher schon angedroht, dass wir, egal wie es ihm ginge, aus diesem Eisloch (gemeint ist die Hütte) hinab ins wärmere Tal steigen würden. Dies taten wir dann auch, und zwar in einer Form, wie ich sie vorher nicht für möglich gehalten hatte.

Insgesamt stiegen wir, nachdem wir uns noch einmal am Feuer gewärmt und gefrühstückt hatten, 1700 m in 7 Stunden mit noch 5 1/2 Stunden ohne Pausen den Berg hinab. Die Zeit und Meter, die wir, als wir den Poon Hill bestiegen, zurückgelegten, nicht mitgerechnet. Bis auf einige kleinere Berge auf der Strecke ständig bergab. Die erste Stunde bei Schnee und Eisglätte, dann eine im totalen Matsch und den Rest schließlich bei Sonnenschein und Trockenheit. Schon nach den ersten 2 1/2 Stunden taten uns dermaßen die Füße und die Waden weh, dass wir eine längere Mittagspause einlegten, wobei sich auch noch ein Krampf in der Rückenmuskulatur herausstellte. Nach einem ausgiebigen Mittagessen und dem Belüften der Füße ging es dann erstaunlich gut weiter. Wahrscheinlich vertrieben wir die Schmerzen mit der Unterhaltung. Nach einer geradezu endlosen Zeit, in welcher ich überhaupt nichts mehr zu spüren schien, ließ das letzte Hindernis auch die letzten Schmerzen vergessen: zwei Hängebrücken. Die erste, die wohl in schlechtestem Zustand befindliche Brücke in Nepal, mit morschen, löchrigen Brettern und einem teilweise nicht mehr vorhandenen Seitenschutz. Danach die längste Hängebrücke, die ich je gesehen habe. Weiß der Geier, wie! Ich bin über beide gekommen mit schlotternden Knien, Schweißausbrüchen und höchstwahrscheinlich kalkweiß im Gesicht.

Aber was soll's! Wir waren schließlich da, und sie waren auch da. Sie, die uns den ganzen Tag immer wieder vorangetrieben und neue Kraft gegeben hatten: Die heißen Quellen. Dazu ein Dorf, welches einem Paradies zu ähneln scheint, riesige Orangen und Zitronen an den Bäumen, blühende Bäume und eine Lufttemperatur von ca. 25°C, welche auch jetzt am Abend noch anhält. Da saßen wir nun am Ende des Tages beim Sonnenuntergang in einem kleinen Pool mit 40°C warmem Wasser, völlig am Ende mit unseren Kräften, ließen die Wärme auf alle geschundenen Körperteile einwirken und konnten schon fast nicht mehr glauben, dass wir bei Sonnenaufgang vor Kälte nur so gezittert hatten. Danach kam ein sehr gutes Essen (sogar ein vegetarischer Burger), in dem westlichem Standard fast entsprechenden "Travellers Guest House". Sogar Strom gibt es hier wieder, auch wenn die nächste Straße immer noch 2 Tagesmärsche entfernt ist.

Jetzt bin ich total am Ende und geschafft und werde somit, auch wenn ich jeden Muskel einzeln spüre, hoffentlich gut und lange schlafen. Es ist ein Wunder, dass ich dies trotz extremer Müdigkeit noch aufschreiben konnte.

Donnerstag, 2.2.95, 10.50 Uhr, mitten auf dem See in Pokara, Sonne

Jetzt sind seit dem letzten Eintrag schon 5 Tage vergangen, welche ich aber nicht völlig ohne Schreiben verbracht habe. Zum einen habe ich die vorhergehenden 84 Seiten korrigiert bzw. die größten Unstimmigkeiten entfernt, welche nicht gerade wenig waren, zum anderen habe ich einiges an Katja geschrieben, da ich in letzter Zeit sehr häufig an sie gedacht habe und einiges loswerden wollte. Nun aber zu den Ereignissen der letzten Tage:

- Toll! Eben ist mir die Tinte ausgegangen, so musste ich erst mal zum Rand des Sees paddeln, um mir einen Ersatzstift zu besorgen. Gute Planung! -

Zunächst verbrachten wir einige Tage im Paradies Tatopani mit Waschen, Essen, Schachspielen, Musikhören und dem Sitzen in den heißen Quellen. Doch dann wurde es wieder anstrengend. Nachdem wir ausgeschlafen hatten, ging es am 29.1. nach Beni. Unsere Beine taten zwar immer noch weh, aber es war auch nicht abzusehen, wann sich dies wieder geben würde. Wir marschierten also so gegen 11.00 Uhr los und kamen nach zahlreichen Hängebrücken, die nicht mehr ganz so schlimm waren, gegen 18.45 Uhr in der Dunkelheit in Beni an. So waren wir 7 Stunden, die letzte halbe mit Taschenlampe, meist relativ eben (höchstens 200 m Höhenunterschied), nur von wenigen kleineren Pausen unterbrochen, gewandert und absolut tot. Zum Schluss hatte ich neben den schon gewohnten Fuß-, Waden- und Schulterschmerzen auch noch einen richtigen Krampf in der Fußsohle. Zwischenzeitlich hatten wir uns die Zeit mit Überlegungen vertrieben, wie wir das Schrebergartenhaus von Timos Oma neu bauen könnten, doch zum Schluss hatte keiner mehr Lust, auch nur einen Ton von sich zu geben. Dies änderte sich erst nach einem ausgiebigen Essen, als sich ein längeres Gespräch mit zwei Deutschen und einem deutsch-holländischen Pärchen entspann.

An diesem Tag haben wir neben den abenteuerlichsten Methoden, einen Weg in den Berg zu bauen, auch den wahnsinnigsten Lastenträger des ganzen Trecks zu Gesicht bekommen. Dieser schleppte auf mehreren, an sich schon schweren 2,50 m x 1 m großen Wellblechen nochmals ca. 1 m3 Wolle mit sich den Berg hinauf. Insgesamt also einen Quader mit gigantischen Ausmaßen: 2,50 m lang, 1 m breit und 50 cm hoch, auf einem 1,60 m großen Männchen.

Am nächsten Tag die letzte, noch einmal 4 Stunden lange Etappe des Trecks. Wir hatten nach der Erfahrung mit Govepani beschlossen, nicht nach Jomson zu gehen, sondern stattdessen die 100 $ für den Flug zu sparen und den Bogen zur Straße einzuschlagen, wodurch wir einen Tag weniger, wesentlich weniger Steigungen und ein warmes, angenehmes Klima hatten. Trotzdem waren wir nach dem letzten Stück wieder am Ende unserer Kräfte. Doch es sollte noch ein weiteres Highlight folgen: Die Fahrt mit dem öffentlichen Bus von Baglam nach Pokara.

Für die 75 km lange Strecke benötigten wir 4 1/2 Stunden, wobei nicht die katastrophalen Straßenbedingungen und die Langsamkeit des Busses das Hauptproblem waren; sie taten das übrige. Am schlimmsten waren die Passagiere. So benötigten wir vor Einbruch der Dunkelheit für die ersten 20 km 2 Stunden. Zunächst einmal kam der Bus gar nicht erst los, da sich 15 Leute von außen an der Tür des total überfüllten Busses festhielten, noch einmal 20 versuchten, auf dem Dach mitzufahren. Dies passte dem Fahrer nun nicht so recht, so dass er versuchte, mal durch Fahrmanöver, mal durch gutes energisches Zureden, einige abzuhängen, was nach langer Zeit, bis auf 5 an der Tür Hängende, auch gelang. Der restliche Bus war ebenfalls bis auf den letzten Spalt gefüllt, so hatten Timo und ich, die wir uns auf eine kleine Bank neben dem Fahrer zwängten, noch am meisten Platz, wofür wir allerdings auch am meisten bezahlten. Aber selbst daneben zwängten sich immer wieder welche neben den Fahrersitz auf einen kleinen Motorblock, sobald der Fahrer einen Moment lang seinen Platz verließ, um draußen für "Ordnung" zu sorgen. Da wir nun jeden Kilometer anhielten, um Leute aussteigen zu lassen, konnten wir jedes Mal von neuem beobachten, wie die dort schon Wartenden versuchten, den Bus zu entern. Höhepunkt war ein Dorf, in welchem der Fahrer schon etwas außerhalb anhielt, was aber nichts nützte. Plötzlich kam eine Horde von ca. 100-200 Leuten um eine Kurve und rannte um die Wette auf den Bus zu. Der Fahrer hatte zunächst noch versucht, hindurchzufahren, gab dann aber auf und beschwerte sich fassungslos und erfolglos bei der im Vorgarten kaffeetrinkenden und das Schauspiel beobachtenden Polizei. Die Rettung vor den Massen war dann ein anderer Bus, welcher an uns vorbeifuhr und somit das Interesse auf sich zog. Als wir weiterfuhren, stand, zwei Kurven weiter, noch einmal die gleiche Anzahl Menschen, durch welche der Busfahrer diesmal aber wild entschlossen und laut hupend hindurchfuhr.

Den nächsten Tag verbrachten wir dann wesentlich ruhiger vor der German Bakery in der Sonne und abends schachspielend im "Bamboo Garden Restaurant". Gestern verlief der Tag ähnlich, nur dass wir noch eine kleine Bootstour unternahmen. Heute ist Timo mit einem geliehenen Motorrad in die Berge gefahren. Ich hoffe, der Hubschrauber, welcher mich eben überflogen hat, war nicht sein Kranken- bzw. Gefangenentransport (auf eine überfahrene Kuh stehen hier 15 Jahre Gefängnis). Ich für meinen Teil lasse mich immer , während ich dies schreibe, auf dem See vom Wind treiben, und habe dann damit zu tun, wieder dagegen anzupaddeln. Dabei hole ich mir schon mehr als die erste Bräune, ich hoffe nicht den ersten Sonnenbrand.

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Aktualisierungsdatum: 27.03.03
Bearbeitet von Christian Wetjen

 


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